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Ein Rüsselsheimer Phänomen

So haben ihn seine Gegenspieler kennengelernt: Royals-Stürmer Mario Viggiani.
So haben ihn seine Gegenspieler kennengelernt: Royals-Stürmer Mario Viggiani.

Mario Viggiani ist ein Rüsselsheimer Spieler der ersten Stunde. Schon Mitte der 1990er Jahre trug er das Trikot mit der Krone auf der Brust. Der Stürmer ging mit dem RRSC einen langen Weg — nicht immer war es einfach. Was macht er heute? Wir haben dem Ex-Spieler der Rüsselsheim Royals einen Besuch abgestattet und ihn ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern lassen.

 

Lässig sitzt Mario Viggiani auf seiner Couch, neben ihm steht eine Dose Red Bull, während er in einer Kiste stöbert, die vor verstaubten Zeitungsartikeln und Bildern aus seiner Hockey-Vergangenheit nur so überquillt. Das ist ein kleiner Schatz, der daran erinnert, wie lange er Teil der RRSC-Familie war. Immer wieder hält er während des Gesprächs inne, zeigt auf die eine oder andere vergilbte Fotografie, lächelt und gibt im nächsten Augenblick eine der vielen Geschichten zum Besten, die er rundum den Rüsselsheimer Sommerdamm erlebt hat.

 

Wer sich mit der Personalie Mario Viggiani auseinandersetzt, wagt sich auf spiegelglattes Eis. Vermutlich liegt es daran, dass es gar nicht so einfach ist, »Viggis« Charakter treffend zu beschreiben. Das Wort »Kompromisslos« schießt einem sofort durch den Kopf, wenn man sich an die Jahre zurückerinnert, in denen der Stürmer auf dem Hockeyplatz wirbelte. Kompromisslos war er immer. In jeglicher Hinsicht. Das wird sich wohl auch nicht mehr ändern.

 

Vielleicht ist das der Hauptgrund, warum der Spieler, der in Rüsselsheim am liebsten mit der Nummer 77 auflief, wie kein zweiter Akteur polarisierte. Das lag vor allem daran, dass Viggianis Spielstil schon von sehr spezieller Natur war. Mal genial, mal wahnsinnig, der Bischofsheimer hatte es faustdick hinter den Ohren. Oft merkte man ihm während einer Partie an, wie sein südländisches Temperament mit ihm durchging. Da geriet das Blut in Rekordzeit in Wallung. Freund und Feind wussten in diesen Momenten, dass es nun unbequem werden würde. Da konnte der Rüsselsheimer Spielertrainer Krzysztof Bielski noch so beruhigend auf ihn einreden. Wenn Viggiani rot sah, gab es kein Halten mehr. Dann entnervte er seine Gegenspieler, lieferte sich von der Bank aus verbale Scharmützel und scheute auch nicht vor körperlichen Auseinandersetzungen zurück, bis er vom Schiedsrichter in die Kühlbox geschickt wurde oder sich unter der Dusche wiederfand. Oft war er auch nach Spielende nicht zu bremsen, was für reichlich Zündstoff in der Kabine sorgte. Da mussten seine Mannschaftskollegen häufig eine Engelsgeduld aufbringen. Optional verließen sie einfach kopfschüttelnd die Kabine, wenn es ihnen zu bunt wurde, während seine Stimme durch die Räumlichkeiten hallte und nur noch eine Handvoll Leute die Kraft aufbrachten, sich mit ihm ein Wortgefecht zu liefern. Da wäre es manchmal von Vorteil gewesen, wenn ihm jemand eine ordentliche Ladung Kleber vor dem Spiel auf den Zahnschutz geschmiert hätte.

 

Bekannt wie ein bunter Hund

 

In all den Jahren, die er dem Puck hinterherjagte, gelang es ihm, sich über die Grenzen des Rhein-Main-Gebietes hinaus einen enormen Bekanntheitsgrad aufzubauen. Egal, gegen wen er mit den Royals, später auch mit den Neu-Isenburg Crows oder dem SC Torpedo Steinberg antrat — sein Ruf eilte ihm stets voraus. Da fragten manche Gegnerteams schon vorab telefonisch an, ob der Stürmer beim anstehenden Kräftemessen dabei ist. «Der war schon ein Phänomen», erzählt Stefan Swoboda, der mit Viggiani lange ein Sturmduo bildete. «Mit ihm in einer Reihe zu spielen hat schon großen Spaß gemacht. Da hatte man als Stürmer regelmäßig viel Platz, weil sich häufig das halbe Gegnerteam auf ihn stürzte», fügt er präzisierend hinzu und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Harald Krekeler, der gemeinsam mit dem heißblütigen Italiener für die Mainzer Wölfe Eishockey auf dem Eis stand, erinnert sich vor allem an die schweißtreibenden Unterzahlspiele. »Vor etlichen Jahren spielten wir in Mainz in der gleichen Sturmreihe. Gefühlt haben wir die komplette Saison in Unterzahl agieren müssen, weil Mario andauernd auf der Strafbank saß. Verblüffend war jedoch, dass er es auch mit so vielen Strafzeiten noch schaffte, die meisten Tore für das Team zu schießen«, weiß der ehemalige Weggefährte zu berichten.

 

Gesundheitliche Konsequenzen hatte Viggianis harte Gangart überraschenderweise nicht. Er kam relativ verletzungsfrei durch seine Eis- und Inlinehockeyzeit. »Das stimmt nicht ganz«, meldet sich Krekeler erneut zu Wort. »Die Nase ist schon ordentlich demoliert worden. Aber das hat ihn nie weiter gestört. Egal wie sehr sein Zinken auch schmerzte, er stand immer pünktlich zum Trainingsbeginn auf der Matte.«

 

Er konnte auch anders

 

Schubladendenkende Menschen haben sich vermutlich schon eine negative Meinung über den Stürmer gebildet. Aber es wäre zu einfach, den Heißsporn Viggiani zu einem bloßen »Hau drauf« zu degradieren, denn es wird ihm nicht ansatzweise gerecht. Schließlich hat jede Medaille zwei Seiten. Genau der richtige Augenblick, um eine Lanze für den charismatischen Stürmer zu brechen.

 

Viggiani konnte nämlich auch anders. Tatsächlich spielte er sehr ordentlich Hockey, wenn er sich nicht ablenken ließ und sich auf seine eigene Leistung konzentrierte. Genau dann war er ein verlässlicher Torjäger, dessen Namen man in der vereinsinternen Scorerwertung häufig auf den vorderen Plätzen fand und der an einem guten Tag mit Leichtigkeit zu den besten Spielern seiner Mannschaft zählte. In den 1990er Jahren war er fester Bestandteil der Royals, ehe er nach der Bundesliga-Teilnahme seines Stammvereins im Jahr 2000 seine Zelte in Rüsselsheim abbrach, um sich eine neue sportliche Herausforderung zu suchen. In den kommenden Jahren spielte er für die Neu-Isenburg Crows und den SC Torpedo Steinberg. Das waren hochambitionierte Teams, die regelmäßig ganz vorne in ihren Ligen mitmischten. Da ist die Frage nach seinen größten Erfolgen in der Sportart Inlinehockey natürlich naheliegend. »Der dritte Platz mit den Crows in der ersten Bundesliga 2001 ist sicherlich einer meiner größten Erfolge im Inlinehockey, nicht zu vergessen die Oberliga-Meisterschaft mit Torpedo Steinberg und das Vorbereitungsspiel mit dem B-Kader der deutschen Nationalmannschaft gegen den A-Kader in Erfurt. Der Meistertitel in der HIHL mit den Royals 2009 war ebenso etwas Besonders«, erklärt Viggiani.

 

Ein astreiner Teamkollege

 

Julian Hessel, der den Italiener als Mit- und Gegenspieler erlebte, beschreibt Viggiani folgendermaßen: »Ich weiß gar nicht, was mir größeren Spaß bereitete, mit ihm oder gegen ihn zu spielen. Eines muss man Mario lassen — er hat konstant seine Tore gemacht und Strafzeiten rausgeholt. Einer der noch dahin ging, wo es richtig wehtat. Wie viele Gegentreffer und Strafzeiten er allerdings verschuldete, lassen wir jetzt mal höflich beiseite. Menschlich ein astreiner Mannschaftskollege und privat ein richtig guter Typ, mit dem man gerne ein Bierchen hebt. Er ist eben ein echtes Original«, sagt der Ex-Isenburger, der heute das Tor der Bad Nauheim Blues hütet, über Viggiani. Dabei vergisst er nicht zu erwähnen, dass der Stürmer auch seine Neu-Isenburger Teamgefährten zur Weißglut treiben konnte. Im Gegensatz zu den Royals, die geduldig diskutierten, machten die Crows kurzen Prozess: »Ich erinnere mich gerne an die Bundesliga-Partie in Chemnitz zurück, als »Viggi« nach dem Auswärtssieg von den Spielern Nissen und Becker in Klebeband eingewickelt wurde und die Rückfahrt unter den Taschen im Kofferraum verbringen musste. Das Schlitzohr Mario befreite sich jedoch, in dem er damit anfing, die Taschen anzuzünden«, weiß Hessel von einer skurrilen Anekdote aus Viggianis Inlinehockey-Leben zu berichten.

 

Zurück zur alten Wirkungsstätte

 

Wo auch immer ihn der Hockeygott hinschickte, schlussendlich kam Viggiani stets an den Ort zurück, an dem alles begann: An den Sommerdamm in Rüsselsheim. Ist der RRSC sein Herzensverein? »Ich denke, man kommt irgendwann immer zu seinen Wurzeln zurück. Der Ort, an dem alles begann, wird immer ein ganz besonderer bleiben, der einen wie ein Magnet anzieht«, sagt der Stürmer über die Royals. Das nimmt man ihm sofort ab. Für die Opelstädter legte er sich nämlich stets mächtig ins Zeug — und das mit großem Feuereifer, Leidenschaft und Kreativität. Die beiden letzten Trikotdesigns tragen seine Handschrift. Das aktuelle Jersey, vielleicht das schönste RRSC-Trikot überhaupt, wurde von ihm entworfen. Zudem schreckte er nie davor zurück, teilweise riesige Umwege in Kauf zu nehmen, um neue Spieler abzuholen und für sie den Privat-Chauffeur zu spielen, damit die Mannschaft eine Blutauffrischung erfuhr. Sponsoren zog er ebenfalls an Land. Im Jahr 2000 liefen die Royals mit einem Opel-Schriftzug auf dem Jersey auf, was alleine sein Verdienst war, weil er nicht locker ließ, bis dieser Deal über die Bühne ging.

 

Neue Herausforderung

 

All das ist jetzt vorbei. Viggiani hat die Inliner an den Nagel gehängt. Ans Ausruhen denkt der Veteran aus mehr als zweihundert Hockey-Spielen allerdings nicht. Das liegt daran, dass er sich nun auf eine neue Sportart fokussiert — und das wie immer mit einem hohen Maß an Leidenschaft und Ehrgeiz. Viggiani hat sich voll und ganz dem Paintball verschrieben. Spricht man ihn darauf an, spürt man sofort einen riesigen Enthusiasmus. Er macht eben keine halben Sachen. Konnte er noch nie. Das ist absolut nicht sein Ding.

 

Wie verschlug es ihn eigentlich zum Paintball? »2007 wurde ich beim Inlinehockey lange gesperrt. Da bin ich durch Ilja Doroschenko (Anmerkung: Inline- und Eishockeytorwart) und den ehemaligen Royals-Verteidiger Timo Hundhammer zum Paintball gekommen. Diese Sportart hat mich sofort gepackt«, berichtet er und deutet auf seine Wohnzimmer-Wand, die schon eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Schrein aufweist. Trikots, Markierer, Fotos und Pokale stehen dort ordentlich aneinandergereiht. Das sieht schon recht beeindruckend aus. Für sein liebgewonnenes Hobby ist ihm auch kein Weg zu weit. »Es kann schon einmal vorkommen, dass ich zum Training nach Wien fahre oder zu einem Turnier nach Moskau fliege, oder Europameisterschaften in Barcelona, London, Mailand, Paris oder St. Tropez auf dem Programm stehen. Wenn ich mich an meine Hockey-Zeit zurückerinnere und mir wieder bewusst wird, wie ungern wir nach Bad Nauheim oder Mannheim gefahren sind, weil es so(ooooo) weit weg war, kann ich nur laut lachen.«

 

Italienischer Nationalspieler

 

Im Paintball hat es Viggiani mittlerweile weit gebracht. Kein Wunder, dass er mit großer Freude von seinen Errungenschaften erzählt: »Im Paintball ist mir das gelungen, was mir während meiner Zeit als Hockeyspieler verwehrt geblieben ist. Ich habe es innerhalb von fünf Jahren von der untersten Klasse (Bezirksliga) bis in die erste Bundesliga geschafft. Es gibt übrigens acht Ligen im Paintball. Dieses Jahr werde ich zum ersten Mal für die italienische Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft auflaufen«, erklärt er stolz. Zudem hat er 2015 ein eigenes Team gegründet, das dieses Jahr bereits in zwei Klassen der Deutschen-Paintball-Liga (DPL) aktiv und auch in der europäischen Paintball-Liga (Millennium-Series) vertreten ist. Das Team nennt sich Droogs Frankfurt.

 

Viggiani ist also mal wieder schwer beschäftigt. Und doch wäre das Gespräch mit ihm nicht beendet, wenn man ihm zum Abschluss nicht folgende Frage stellen würde: Gibt es nochmal ein Comeback am Sommerdamm? »Ich möchte diese Frage mit einem Zitat aus der Zeichentrickserie »Rosaroter Panther« beantworten: Heute ist nicht aller Tage, ich komme wieder keine Frage!«, sagt er grinsend. Wenn das mal keine Drohung ist …


Mario Viggianis Fotoalbum



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